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Wehrt Euch gegen das Ausspähen

Wehrt Euch gegen das Ausspähen

bernieberlin1

Juni 11th, 2014

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Im Daten-Himmel. Computer wissen alles über uns.

Hier wieder ein interessanter Findling aus dem Web:

 

Spähaffäre: Die Gesellschaft kann etwas gegen die Überwachung tun

Eine Kolumne von aus Spiegel 06-2014

Seit einem Jahr wird uns weisgemacht, die Überwachung durch Geheimdienste diene der Sicherheit. Die größte Angst der Spähmaschinerie: Dass die Bürger dahinterkommen, dass das gar nicht stimmt.

Anfang Dezember 2013 wurde bekannt, dass die NSA vor Thanksgiving ein zweiseitiges Papier an ihre Angestellten ausgegeben hatte. Es beinhaltete Argumentationshilfen, falls man als Spähmitarbeiter anlässlich der Snowden-Enthüllungen in der Familie in Erklärungsnot geraten sollte.

Es finden sich darin neben eindeutigen Lügen und fein gewobenen Verschleierungen auch Sätze wie “Wir greifen den Dialog mit der Öffentlichkeit auf”. Diese unverschämte Behauptung vereint die Kategorien Lüge und Verschleierung, enthält aber ein weiteres verräterisches Element, nämlich den am ehesten wunden Punkt der Spähmaschinerie. Nicht nur in den USA.

 

Tatsächlich könnte die Öffentlichkeit auf vielfältige Weise die Spähradikalen stutzen, und der wichtigste Hebel dafür entspricht dem Grund für die Existenz dieser NSA-Papiers: das öffentliche Bild derjenigen, die die antidemokratische Totalüberwachung ermöglichen und verantworten. Die Öffentlichkeit neigt dazu, ihre eigene Macht kurzfristig zu überschätzen und langfristig zu unterschätzen. Diese Kombination trägt dazu bei, kurzfristig Enttäuschung, Resignation, Politikverdruss zu verstärken. Schon der fünfte Beschwerdebrief an den Stadtrat und immer noch keine 30-Zone vor der Haustür.

Der Schlüssel zur Veränderung ist Überzeugung der Öffentlichkeit

Langfristig aber übersetzen sich die Haltungen der Öffentlichkeit in konkrete Veränderungen in Gesellschaft und Politik. Wenn das nicht so wäre – weshalb wäre dann in jeder Diktatur und in den meisten autoritären Staaten der erste Schritt der Machthaber die Kontrolle der Medien, die die Öffentlichkeit adressieren? Und in einer Demokratie ist diese Macht der Öffentlichkeit noch weitaus größer.

Der Schlüssel zur Veränderung ist daher Beharrlichkeit und Überzeugung der Öffentlichkeit. Zuallererst gehört dazu, die Verantwortlichen benennen, ihnen öffentlich ihre Verfehlungen vorzuhalten. Bis hinunter zu der kleinen, aber persönlich relevanten Familienöffentlichkeit während eines Festes, weshalb sich die NSA mit einem so hilflosen Faltblatt lächerlich gemacht hat. Es geht darum, den Verantwortlichen ihre vermeintliche Legitimation für den Betrieb des radikalen, grundrechtsfeindlichen Überwachungssystems zu entziehen. Auch in Deutschland. Gerade in Deutschland, dessen Behörden fraglos und absichtsvoll Teil der Überwachung sind.

Es gibt aktiv Verantwortliche. Es handelt sich um die Mitarbeiter und Führungskräfte einer weltweiten Überwachungsmaschinerie, bestehend aus Geheimdiensten, Behörden, Unternehmen. Es gibt politisch Verantwortliche. Es handelt sich um den Teil der Politik, der in der Totalüberwachung der Bürger, in der Preisgabe ihrer Grundrechte einen akzeptablen Preis sieht. Und um den Teil der Politik, der nicht bereit ist, diesem Grundrechtsverrat entgegenzutreten. Diese Gruppen von Verantwortlichen halten sich seit Snowden an einem dünnen Fädchen der vermeintlichen Legitimation fest:

Sicherheit.

Es ist kein Zufall, dass die mit eindrucksvollem Abstand erfolgloseste politische Figur der Spähkatastrophe – Exinnenminister und Exlandwirtschaftsminister Friedrich – unter Druck von einem “Supergrundrecht Sicherheit” schwafelte. In den Kreisen der Verantwortlichen redet man sich selbst ein, dass es um Sicherheit geht, um Sicherheit durch Totalüberwachung. Man tue das ja nur, um die freie Gesellschaft zu schützen. Es ist eine Lüge, die man sich gern selbst erzählt, damit man sich noch in die Augen schauen kann. Wenn man es sich intensiv genug einredet, beginnt man, diese Lüge zu glauben. Und kann sie bedenkenlos weitergeben.

Aus Sicherheitsbehörden wurden Unsicherheitsbehörden

Das Mantra Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit wirkt in diesen Köpfen als Entschuldigung für alles. Sogar bei denen, die spüren, dass sie Teil einer Monstrosität sind. Die dann selbstbeschwörend “Aber die Sicherheit” vor sich hinsagen und nicht so genau hinsehen.

Aber es ist falsch, es ist doppelt falsch, es ist dreifach falsch:

  • Es ist Verrat an der Verfassung, für die vermeintliche Sicherheit Grundrechte als optional zu betrachten.
  • Es ist unwahr, dass die Totalüberwachung der Bürger die Sicherheit erhöht, jeder Beweis dafür fehlt.
  • Und es ist eine Tatsache, dass die bisher bekannten Aktivitäten des Spähapparats die Sicherheit nicht erhöhen – sondern im Gegenteil dramatisch reduzieren.

 

Dieser letzte Punkt ist der Hebel, vor dem die internationale Spähmaschinerie die größte Angst verspürt: dass die Öffentlichkeit aufhört zu glauben, es gehe um Sicherheit. Diese Angst ist berechtigt, genau darüber führt der Weg aus der Totalüberwachung und damit der Machtbeschneidung des Spähapparats. Jeder einzelne Satz in der NSA-Broschüre ist der beinahe verzweifelte Versuch, die öffentliche Deutungshoheit über die Sicherheit zu behalten.

Darum geht es in den nächsten Wochen, Monaten, vielleicht Jahren: die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Totalüberwachung der gesamten Bevölkerung das Gegenteil von Sicherheit ist. Die Bürgerspione sind eine Gefahr im Namen der angeblichen Sicherheit. Sie verschlechtern Verschlüsselung, sie manipulieren Geräte, sie attackieren Netze und Datenbanken, sie handeln außerhalb der Gesetze, schrecken nicht vor Grundrechtsbrüchen zurück – und über all das lügen sie öffentlich. Eine Pervertierung hat stattgefunden, befeuert durch die unendlichen Überwachungsmöglichkeiten der digitalen Vernetzung: Aus den Sicherheitsbehörden wurden Unsicherheitsbehörden.

 

Langsam, ganz langsam, kaum spürbar langsam sickert diese Erkenntnis in immer mehr Köpfe. Gerade erst weigerte sich der ehemalige Vizepräsident Al Gore, Edward Snowden als Verräter zu bezeichnen. Sicher habe er Geheimnisse offenbart. Aber die Verletzungen der Verfassung, die er so aufgedeckt habe, seien sehr viel ernster gewesen. Al Gore scheint sein Faltblatt nicht gelesen zu haben.

Die Zivilgesellschaft ist nicht machtlos, ihre Waffe ist sie selbst in Form öffentlichen Drucks. Und der hat politische Wirkung, früher oder später.

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